Das Christkind sagte zur Eröffnung des Nürnberger Christkindlesmarktes: „Das Christkind lädt zu seinem Markte ein.“ In der AUGSBURGER ALLGEMEINEN war dazu in der Samstagsausgabe vom 02.12.2017 ein Bild zu sehen: ein Mädchengesicht mit lockigem Engelshaar, die Kleidung in Weiß und Gold, mit Flügeln und eine Art Krone auf dem Kopf, die seltsam nach oben gerichtete Strahlen aufwies.
Nun ist zuerst zu klären, wer oder was dieses sogenannte Christkind eigentlich sein soll. Ist es etwa ein Engel? Bis zu einem unbestimmten Alter von Kindern ist es zunächst einmal ein Wesen, das an Weihnachten heimlich Geschenke bringt. Im Gegensatz zum Weihnachtsmann, der angeblich durch den rußigen Kamin ins Haus eindringt, dieser Schmutzfink, ist ein solches Christkind die saubere Variante des Geschenkeaustauschs. Der Weihnachtsmann ist ohnehin nur der aus der Cola-Reklame entliehene US-Kasperl in Rot und Weiß mit einer mehr oder weniger langen Bommelmütze, einer stark geröteten Nase und glühenden Wängelein, die an übermäßigen Glühweinkonsum denken lassen,
ein urig lärmender, angeheiterter Typ, oft mit einer Glocke versehen. In unserer modernen Zeit, die von klaren Definitionen nicht viel hält, muss betont werden: Mit dem Nikolaus hat diese künstliche Witzkreation mit seiner Schnapsnase nichts zu tun. Der Nikolaus ist ein Heiliger, dessen drei goldene Kugeln auf seine Darstellung in der Legende hinweisen: Er versuchte mit seinen Goldgeschenken durch Armut gefährdete junge Mädchen davon abzuhalten, in die Prostitution einzusteigen. Ähnlich wie der heilige Wolfgang – Bischof zuletzt (994) in Regensburg – hat der heilige Nikolaus viele Zuständigkeiten wie die AUGSBURGER ALLGEMEINE auf Seite 19 am Dienstag, dem 5. Dezember 2017 aufzählte: „Apotheker und Schüler, Fischer und Schiffer, Diebe, Schnapsbrenner, Parfümhersteller, Kerzenzieher und Getreidehändler“. Gleichzeitig enthüllte die Zeitung den handstreichartigen Diebstahl der Gebeine des Heiligen aus Myra nach Bari, typisch italienisch. Die Verlegung seines Festes vom 6. Dezember auf den 9. Mai konnte diese Entführung nur unzureichend tarnen.
Da das ursprüngliche Wirkungsgebiet des Heiligen, die Stadt Myra, in der heutigen Türkei liegt, versuchen unterbelichtete Lehrkräfte mit spätalternativer Multikultineigung ihren Schülern beizubringen, was diese dann ihren mehr oder weniger erstaunten Eltern zuhause präsentieren: „Der Nikolaus is`n Türke.“ Die Stadt Myra mit ihrem Bischof Nikolaus liegt in Lykien, das noch im 11. Jahrhundert vom byzantinischen Reich umschlossen war und die Reste einer Kuppelbasilika aufweist, die angeblich ins 4. Jahrhundert zurückreicht – der Lebenszeit des Heiligen. Spätestens seit der Eroberung Konstantiopels 1445 lag die Stadt Myra auf türkischem Gebiet. Deswegen ist der heilige Nikolaus aber noch lange nicht zum Türken avanciert, auch nicht beziehungsweise und schon gar nicht ehrenhalber. Man kann sagen: Er ist rechtzeitig (1087) entführt worden, den Leuten aus Bari sei gedankt, bevor er zum Türken werden konnte. Und so hat auch dieses Verbrechen sein Gutes.
Ob das Christkind eine ähnlich eigenartige Wandlung durchlaufen hat? Viel, viel schlimmer! Zunächst einmal weiß man heute, dass Jesus Christus sieben vor Christus geboren wurde. Das klingt eigenartig, ist aber eher ein Kalenderproblem. Seit dem 12. Jahrhundert gibt es eine „Kind-Jesu-Verehrung“ und Darstellungen von Jesus als Kind. Dieses Kind ist das eigentliche Christkind. Seine Geburt in einer stallartigen Höhle bei Betlehem ist von relativer Armut umgeben. Sein Ziehvater Josef war Handwerker, der durchaus sein Einkommen hatte. Der Stall beziehungsweise die Höhle wurde für die Übernachtung gewählt, weil alle Herbergen belegt waren. Außerdem stellte diese Geburt in dem vermutlich wasserlosen Unterschlupf ohne Elektrizität für Maria kein hygienisches Problem dar, denn nach der Lehre der katholischen Kirche ist Maria vor, während und nach dieser Geburt Jungfrau. Dies bedeutet, dass das Kind nicht nur auf wunderbare Weise gezeugt wurde, sondern auch auf wunderbare Weise zur Welt kam (ohne den Geburtskanal zu durchlaufen und damit ohne Wehen). In den 30er Jahren des 18. Jahrhunderts scheint man noch geahnt zu haben, dass Jesus relativ arm geboren wurde, denn der erste Satz in der Nummer sieben des Weihnachtsoratoriums von Bach lautet: „Er ist auf Erden kommen arm.“ Ab wann verflüchtigt sich dieses Bild? Wie kommt es dazu, dass das „Christkind“ zur Eröffnung des Nürnberger Christkindlesmarktes 2017 spricht: „Das Christkind lädt zu seinem Markte ein.“ Nichts mehr also von Armut. Das Christkind hat einen Markt, zu dem es einlädt. Es hat sich gewandelt vom armen Knaben zu einem süß gekleideten, mädchenhaften Engelein, das zum Schutzheiligen der Marktinteressen speziell in der Weihnachtszeit verkommen ist. Am Mittwoch, dem 9. Dezember 2017, war in der AUGSBURGER ALLGEMEINEN auf Seite 22 zu lesen: „Wenn auf dem Kurfürstendamm die Weihnachtsbeleuchtung angeknipst wird, kommen Promis aus Politik, Sport und Showgeschäft.“ Man möchte hinzufügen „aus allen Löchern“ und sich dies bildlich vorstellen: „Knips“ und die äußerst üppige Beleuchtung wird hell. Politiker, Sportler und Showgrößen erscheinen beziehungsweise zeigen sich. Andere Promis nicht? Und was ist mit den normalen Leuten? Die AUGSBURGER ALLGEMEINE bietet hier womöglich eine relativ einseitige und „beschränkte“ Sicht. Natürlich finden sich auch Geschäftsleute, aber eher verborgen lauernd. „Jeden Tag eröffnet ein neuer Laden.“ sagt Gottfried Kupsch. Es ist feststellbar: Der Ku‘damm hat sich gewandelt. Wer finanziert den Lichterglanz? Wem dient er? Dem Besucher nicht nur dieser hell erleuchteten Straße öffnet sich das weihnachtliche Herz und der Geldbeutel.