Es wurde aber auch Zeit: Endlich hat sogar Ottawa (Kanada) seit dem Herbst 2017 ein eindrucksvolles Holocaust Denkmal. Doch, ja, natürlich für den Holocaust der Nazis an sechs Millionen Juden. Leider ist die Sinngebung dieser Gedenkstätte nicht soweit gefasst, dass sie den Holocaust an den Ureinwohnern Kanadas einschließt. Das hätte sich doch angeboten. Denn im frühen 16. Jahrhundert begann die Entrechtung der Indianer. Bei dieser Bevölkerungsgruppe, die heute 1,2 % der Einwohner Kanadas ausmacht, könnte ebenso wie bei den Juden die „Widerstandskraft der Überlebenden“ gewürdigt werden. Immerhin: Sie dürfen in etwas mehr als 2000 Reservaten vegetieren.
Was geschieht, frage ich mich unwillkürlich, falls dieses Denkmal in Ottawa eines fernen Tages baufällig wird? Falls Kanada auch so eine Art „Zentralrat der Juden“ hat, dann ist das kein Problem. Es gelingt dieser Lobby sicher, von dem reichen Staat Kanada die Gelder für eine Restaurierung des Mahnmals locker zu machen, und die Erinnerung an die Verbrechen der Nazis ist wieder für eine große Zeitspanne gesichert – in Kanada.
Was geschieht, wenn bei uns in Deutschland und Europa eine der KZ-Gedenkstätten baufällig wird? Erste Anzeichen sind erkennbar: Deutsche Jugendliche vereinigen sich mit den letzten Holocaustüberlebenden und begehen die Gedächtnisstätten. Sie zeigen Empathie und bekunden Reue für etwas, das sie nicht getan haben. Von den in der Regel ziemlich alten Opfern wird dies gerne gesehen. Ist doch die Meinung in Israel allgemein derart: „Wir können die jungen Deutschen aus ihrer Verantwortung für den Holocaust nicht entlassen.“ Vereinzelt geht die den Deutschen aufgebürdete Kollektivschuld nun soweit: Sogar durch Rost brüchig gewordener Stacheldraht wird von diesen Jugendlichen durch neuen ersetzt.
Ähnlich wie der nagelneue Stacheldraht mit dem alten außer Stacheln nichts gemeinsam hat, haben auch die heutigen Jugendlichen nichts zu tun mit den Verbrechen der Nazis an den Juden. Ich für meine Person zum Beispiel bin 1944 geboren. Mein Vater war bei der Reichsbahn und wurde erst im April 1945 für den Volkssturm rekrutiert, aber nicht mehr eingesetzt. Beide fühlen wir uns nicht für den Holocaust verantwortlich und lassen uns auch von Niemandem etwas einreden. Auch die Kinder von ehemaligem KZ-Personal sind nicht für die Taten ihrer Eltern verantwortlich.
Natürlich sind Begehungen von KZ-Gedächtnisstätten besondere Highlights in der Erinnerungskultur, aber damit ist es nicht getan. Es ist durchaus nötig, die deutschen Menschen täglich und stündlich an die gigantischen Verbrechen zu erinnern, die im deutschen Namen unter den Nazis geschehen sind. Dazu sind die sogenannten „Stolpersteine“ sehr nützlich. Es sind „Erinnerungszeichen“ auf Straßen und Plätzen. Zur Pflege dieser Steine gibt es in Augsburg die Hochschulgruppe der „Deutsch-Israelitischen Gesellschaft Schwaben“ und den Verein „Respect & Remember“. Hoffentlich schlägt die ständig krampfhaft erneuerte Kollektivscham nicht ins Gegenteil um. Es ist zu befürchten, dass es eines Tages heißt: Es reicht! Vielleicht entsteht auch das Bestreben, ein Denkmal für Palästinenser zu errichten, mit einem Zählwerk, das die aktuelle Zahl der Getöteten auf neuestem Stand addiert.