30 May
30May

Abgesehen von ein paar ausgefuchsten Spezialisten für Literaturgeschichte kennt wohl niemand das epigonale Drama „Sophonisbe“, das von Emanuel Geibel verfasst wurde, welcher zum Künstlerkreis um den bayerischen König Ludwig I. gehörte. Das in Aufbau, Inhalt und Form perfekt im Sinne des Klassizismus durchgestylte Stück gab es gedruckt mit Goldschnitt, aber diese wertvortäuschende Ausgabe ist kaum mehr erhältlich und auch antiquarisch belanglos – von Aufführungen ganz zu schweigen. Ähnlich verhält es sich mit Leo Klenzes Bauten. Wenn sie nicht gebaut worden und nur in Plänen erhalten geblieben wären, würde fast kein Mensch davon Notiz nehmen. Nur weil ein spleeniger König für diese Bauten Unsummen ausgegeben hat, stehen sie da wie für die Ewigkeit gebaut und drängen sich dem Betrachter auf. Man sollte versuchen, sich vorzustellen, wie München aussehen würde, wenn dieser König das Geld, das er für die klassizistischen Bauten allein in dieser Stadt aufgewendet hat, für Jugendstilgebäude ausgegeben hätte! Welchen künstlerischen Wert und welche architektonische Leistung stellt beispielsweise die Walhalla bei Donaustauf dar als zentimetergenauer Nachbau des Parthenontempels in Athen und dies in einer Umgebung, die von Weißwürsten und Schweinsbraten geprägt ist? Mehr kultureller Wert kommt den beiden zuletzt genannten wohl zu. Wie für epigonale Bauten typisch, wurde nur das teuerste Material verwendet und so vereinen sich Preziosität und Banalität – zwei Kennzeichen von Kitsch. Zu allem Überfluss besuchen ganze Busladungen von Schulklassen an ihren Wandertagen die Walhalla. Vielleicht lernen sie dadurch einen pädagogisch immer wertvollen Wechsel der Perspektive: vom Gebäude abzusehen und die Aussicht zu genießen.

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