Jahre- und jahrzehntelang hatte sich die Mehrheit der Einwohner Londons über die Zuwanderung von Füchsen in das Stadtgebiet gefreut. Bewundert wurden die Tiere vor allem wegen ihrer Anpassungsfähigkeit. Natürlich ist der Fuchs in der Literatur besonders durch Legenden und deshalb in der Vorstellungswelt der Gebildeten positiv besetzt: ein kleiner und schlauer Opportunist, nicht durchwegs ethisch einwandfrei, aber immer erfolgreich, was speziell im Vereinigten Königreich grundsätzlich imponiert. Die öffentliche Sympathie wird zusätzlich vom allgemeinen Naturschutzgedanken getragen. Der inzwischen etwas abgeschlaffte „Nationale Wohlfahrtsverband für Füchse“, der sich in Theorie und Praxis unsterbliche Verdienste erworben hatte durch seine durchaus humanen Positionen gegen die Parforcejagd, sieht im Schutz der Stadtfüchse eine neue Aufgabe.
Man schätzt, dass mittlerweile etwa 15000 Füchse London bevölkern. Was diese Zahl betrifft, lautet die offizielle und politisch korrekte Meinung, die Fuchspopulation bliebe immer ungefähr die gleiche und reguliere sich mit der Zeit selbst, sobald die Tiere sich in die Verhältnisse der Großstadt integriert hätten; von einer unkontrollierten Zunahme könne also keine Rede sein – im Gegenteil: Neueste Schätzungen hätten bewiesen, dass die reale Zahl sich bei etwa 15544 eingependelt habe und wohl kaum mehr zunehme. Zudem seien mehr oder weniger aktuelle Meldungen so unwahrscheinlich, dass sie in den Bereich der Fabeln und Märchen verwiesen werden müssten:
So sei es äußerst unrealistisch, dass ein Mann im Westen von London sein Sofa mit einem beharrlichen Fuchs teilen musste. Die Schreie paarungsbereiter Füchse und die beim Liebesspiel ruinierten Blumenbeete als Störung des persönlichen Wohlbefindens zu deklarieren sei äußerst kleinlich. Angeblich soll ein Fuchs – durch die Katzenklappe ins Haus gelangt – einer Frau eine Finderkuppe abgebissen haben. Der Hauskatze einer Familie sei im Garten der Kopf abgetrennt worden. Darüber hinaus soll ein Fuchs ein neun Monate altes, menschliches Zwillingspärchen in der Wiege durch Bisse erheblich verletzt haben.
Für alle, die es mit dem Tierschutz ernst meinen, sind dies nur Schauermärchen – erfunden um den Fuchs nicht als Sympathieträger gelten zu lassen. Viele Stadtverwaltungen wie zum Beispiel von Richmond in Südlondon vertreten den positiven Standpunkt, der Fuchs sei kein Schädling, sondern ein Teil der urbanen Fauna: Er gehört zu London. Sollte hier etwa gewissermaßen einer Art Reconquista das Wort geredet werden? Was den Füchsen vor kaum abschätzbaren Zeiten an Lebensraum genommen wurde, erobern sie sich nun zurück. Doch die Zahl der Schwarzseher und Defätisten nimmt zu. Für sie ist der Vertrauensvorschuss gegenüber den Füchsen längst aufgebraucht: Ein verletztes Kind sei eines zu viel. Elternbeiräte machen sich Gedanken wegen der Sicherheit ihrer Kinder. Um der vermeintlichen Gefahr zu begegnen, müssten „Wildlife Manager“ engagiert werden. Diese verringern die Zahl der Füchse durch Fallen und Abschüsse. Das geschieht auf Schulhöfen und an Kindergärten in den Ferien, was nur ganz im Geheimen möglich ist, weil die Jäger und deren Auftraggeber dem Druck der öffentlichen Meinung nicht gewachsen sind.